Die Orgel in der christlichen Gemeinde

von KMD Prof. Gerd Zacher

Sicher sind Gottesdienste ohne Orgel denkbar. Falls die Orgel zur Andachtsmaschine oder Gebetsmühle wird, sogar wünschenswert. Doch ist die verbreitete Meinung, dass eine Kirche auch eine Orgel brauche.

Man singt zur Orgel, sie kann den Gesang und den Sinn des Textes steigern. Man schreitet auf Orgelmusik bei Hochzeiten, Festen und Feierlichkeiten wie in einer Art Tanz. Man lauscht sitzend der Orgelmusik, meditierend, und erlebt Raum und Zeit, in denen man sich zurechtfinden möchte. Man singt im Wechsel mit der Orgel: Natur und Menschenstimme und Technik des vom Menschen erfundenen Geräts werden gegeneinander abgewogen.

Drehorgel Paris 1990 (c) M. Kerk

 

Dies alles kann sinnvoll geschehen; es kann aber auch auf die allzu gewohnte Weise geschehen, dass dabei die befreiende Neuigkeit und der Anstoß, den das Evangelium erregt, glatt übersehen wird – und infolgedessen die Sinnänderung, die Umkehr ausbleibt. Die Kirche ist der Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Allerdings prallt bei dieser Begegnung Heiliges (Gott) und Unheiliges (Mensch) unvermeidlich aufeinander. Der Mensch sucht diesem Zusammenstoß zu entgehen. In diesem Sinne ist auch die Geschichte der Orgel eine gespaltene Geschichte: Entweder wurde die Orgel heiliggesprochen und gewürdigt (im Kult) oder aber verdammt und lächerlich gemacht (auf dem Jahrmarkt).

 

Dabei haben doch beide Sorten Orgeln die gleichen Bestandteile: Pfeifenreihen, die klingen, Blasebälge, die für Wind sorgen und Tasten oder Stifte, mit denen die Reihenfolge der Töne ausgewählt wird. Wie jedes technische Gerät ist auch die Orgel eine Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten: Mit ihr hat man größere Lungen, kann stärker und länger tönen, hat man präzisere Lippen, kann man Bruchteile von Sekunden hörbar machen, hat man längere Arme, kann meterweit voneinander Entferntes zum Zusammenklang bringen, hat man ein längeres Gedächtnis und kann schneller schalten. (Auf den Erfahrungen des Orgelbaus beruht die Entwicklung des „Elektronengehirns“.)

Orgelsteuerung (c) M. Kerk

 

Die ersten Orgeln erklangen schon vor Christi Geburt im römischen Zirkus. Danach dienten sie der Verherrlichung des Kaisers. Es hat Kämpfe gekostet, bis sie in die Kirche kamen. Als sie schließlich etabliert waren, haben Bilderstürmer und bürgerliche Revolutionäre sie wieder entfernt. Restauration verwendet sie aufs Neue.

Die Geschichte der Orgel zeigt, für wie verschiedene Zwecke Musik benutzt wurde. Entsprechend der Einschätzung des Instruments zeigte sich denn auch die Musik, die man darauf spielte. Sie reichte von hochgelehrten Fugen, die selbst für Kenner schwer nachvollziehbar sind, bis zu allervolkstümlichsten Stücken, die mit gefälligem Kopfnicken verstanden wurden. Beides galt freilich als Gott gefällige Musik. Aber innerhalb dieses Bereiches zeigt sich wieder die Spaltung: hier Verstand, dort Gefühl. Die Lösung liegt nicht auf dem sogenannten goldenen Mittelweg – etwas weniger Verstand und nicht so starkes Gefühl  - , sondern in der vollsten Ausprägung sowohl von Verstand als auch von Gefühl bis zu deren Vollkommenheit. Herz und Hirn sind in ihrer Tätigkeit aufeinander angewiesen und müssen beide gut sein. Tatsächlich gab es Fugen von wohltuender Richtigkeit und erfrischendem Wagemut; andererseits hat es auch immer wieder Musiker gegeben, die sich darin übten, im Einfachsten das Wesentliche zu treffen.

In alten Orgeln findet man häufig den Spruch: „Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat“. Er meint beide: das Ausbrechen, wenn einem Menschen der Mund aufgestoßen wird zu etwas Neuem, Unerhörtem, und das Bewahren der gesammelten Erfahrung.

Überlieferung und Veränderung, Tradition und Fortschritt, die aufeinander angewiesenen Grundlagen jeder Kunst, sind in der Orgel verkörpert. Was wir heute als Tradition bezeichnen, war damals, als es entstand, notwendig und neu. Wenn wir also Tradition lebendig bewahren wollen, müssen wir es machen wie die alten Meister: das Notwendige und Neue schaffen.

Ventile (c) M. Kerk

Bei Orgelmusik kann das Unerwartete jeden Moment  der im Spielvorgang vorhanden ist, einsetzen. Der Organist geht aus von einem musikalischen Gedanken oder vom Notenbild einer gedruckten Vorlage. Sein Gehirn gibt Impulse weiter an Hände und Füße. Die Tasten des Instruments sind wie Verlängerungen der Finger und reichen über Zugvorrichtungen bis an Ventile unter den Pfeifen. Der Wind strömt in die Pfeifen und bringt sie zum Schwingen und Klingen. Der Schall wird abgestrahlt und verteilt sich im Gebäude. Das Echo hört der Spieler und richtet danach sein weiteres Verhalten ein. Der Schall bricht sich vielfältig am Gemäuer. Er trifft am Ohr des Hörers ein. Der Hörer fasst die Klänge auf seine Weise auf. Er reagiert auf das, was er begreift. So entsteht eine gesammelte oder zerstreute Atmosphäre, die sich wiederum dem Spieler mitteilt. Nachher können die Hörer auch den Organisten fragen, ihm ihre Eindrücke schildern und so für spätere Gelegenheiten Anregungen geben oder Einfluss nehmen oder auch Erklärungen empfangen und Merkmale zum Unterscheiden kennenlernen.

Solch alltäglicher Umgang mit der Orgel kann sich auf den sonntäglichen Umgang mit ihr stark auswirken. Mancher wird froh sein, wenn er sagen kann: „Der Herr hat mir das Ohr geöffnet, dass ich höre wie ein Jünger.“ Und sei es auch einmal über die Musik.

Gerd Zacher: Die Orgel in der christlichen Gemeinde, aus „Orgel für Alle“, Materialbuch 123 des Zentrums Verkündigung, Frankfurt 2015.

 

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